Andrea Fregosi
1920–2002
Andrea Fregosi wird 1920 in Mailand geboren. Er hat vier ältere Schwestern und einen berühmten Vater, Giulio Fregosi, der Bariton an der Mailänder Scala ist. Durch den frühen Tod seiner Mutter stockt seine Schulbildung. Er wechselt vom Gymnasium auf eine weiterführende Schule, an der man zusammen mit dem Abitur einen Berufsabschluss als Kindergärtner und Grundschullehrer erwirbt. Bei Kriegsbeginn meldet er sich freiwillig.
Im September 1943 gerät er in deutsche Gefangenschaft. Auf dem Weg nach Nürnberg-Langwasser durchläuft er viele Kriegsgefangenenlager, insbesondere im besetzten Polen. Um den prekären Lebensbedingungen zu entkommen, willigt er ein, für die Republik von Salò zu kämpfen – jene faschistische Regierung, die sich nach Absetzung Mussolinis und nach dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten in Norditalien gegründet hatte, um an der Seite der Deutschen weiterzukämpfen. Das „Ja-Sagen“ zur Republik von Salò erfolgt nicht aus Überzeugung, sondern ist der Versuch, die Freiheit wiederzuerlangen. Im Juni 1944 wird er mit anderen „Ja-Sagern“ nach Italien entlassen. Es gelingt ihm in der Tat, nicht für die faschistische Regierung kämpfen zu müssen.
„14. April 1944 – Nürnberg
Zirka ein Monat, ohne zu schreiben! Vielleicht ist es der nach den letzten reichlichen Schneefällen plötzlich ausgebrochene Frühling, oder das Verlangen, mich von der Gemeinschaft abzusondern, was mich so träge gemacht hat? Ich weiß es nicht. Ich fühle mich desorientiert in diesen abscheulichen Baracken. Ich komme mir vor wie eine aus ihrem Kokon geschlüpfte Seidenspinnerraupe. Der Vergleich ist nicht ganz abwegig, denn hier drinnen stinkt es genauso wie in einer Seidenraupenzucht. Nur dass der Gestank hier von den (nicht allzu sauberen) Körpern erzeugt wird, die in den vierundzwanzig extrem aufgeheizten Schlaffstätten liegen. Wenn dieses sinnlose Leben noch länger andauert, wird es noch böse enden.
Einer hat vor ein paar Tagen versucht, sich zu erhängen. Ich habe Mitleid mit ihm. Vielleicht weil er es nicht geschafft hat zu sterben oder weil er verrückt ist? – Was weiß ich!
Hier in den Lagern hat man völlig verschrobene Gedanken.
Ich glaube, dass wir alle mehr oder weniger verrückt sind!“
Fortan arbeitet er bei der Stadtverwaltung. 1947 heiratet er und wird Vater von zwei Töchtern. Die Gefangenschaft begleitet ihn. Bis ins hohe Alter engagiert er sich in Opferverbänden der deportierten italienischen Soldaten für die Anerkennung ihrer Gefangenschaft.