Jan Abraham

1910–1939

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Es gibt kein Foto von Jan Abraham.

Johann Abraham, genannt Jan, kommt 1910 in dem kaschubischen Dorf Sławoszyno, nahe Danzig, zur Welt. Sein Vater Jan ist im Ort Gemeindevorsteher, seine Mutter Paulina kümmert sich um die Kinder. Jan Abraham hat neun Geschwister, allerdings sterben drei Kinder bereits im Kindesalter. Er lässt sich zum Tischler ausbilden.

Kurz nach dem deutschen Überfall auf Polen und der Besetzung seines Heimatdorfes im September 1939 wird Jan Abraham im Alter von 28 Jahren interniert. Er kommt als Zivilist in das Internierungslager in Nürnberg-Gaismannshof, wo er einige Wochen festgehalten wird. Kurze Zeit nach seiner Entlassung kehrt er in seine Heimat zurück.

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Postkarte von Jan Abraham an seine Familie aus dem Internierungslager Nürnberg-Gaismannshof, 19. September 1939. Diese Postkarte ist das einzige persönliche Dokument von Jan Abraham, das sich erhalten hat.
© Władysław Abraham
 

„Gelobt sei Jesus Christus. 
Nürnberg, der 19. September 1939
Liebe Eltern, Brüder und Schwestern,
zuerst möchte ich Euch herzlich grüßen! Ich bin bei bester Gesundheit, nur das Klima ist etwas anders, und ich sehne mich nach Hause, also bin ich nicht frei von Sorgen. Hier sind viele Bekannte, unsere ganze Polizei und auch Zivilisten, einige Tausend. Liebe Eltern, wir erhielten diese Karte gratis und dürfen nur alle 14 Tage schreiben, also schreibt mir häufiger. Wir haben hier weder Briefe noch Geld, denn sie haben es uns weggenommen. Wir brauchen es im Übrigen nicht, weil wir drei Mal täglich Essen erhalten und nichts zu tun haben, nur Karten spielen. Aber Gott werde ich nicht vergessen. Liebe Eltern, es ist irgendwie kalt und regnerisch, also schickt mir warme lange Unterhosen, das graue Hemd, einen alten Schal, einen Gürtel und den Filzmantel, einen Pullover und eine [Decke], vielleicht auch etwas Fett… Bitte grüßt Otylia von mir, sie soll mir so schnell wie möglich schreiben, denn ich kann nicht viel schreiben, es wird alles kontrolliert, was wir schicken und was wir erhalten. Schreibt mir, wer zu Hause ist und ob ihr zusammen aus Nadole wegkommen konntet, nur keine Politik, Geld und Tabak. Wenn Ihr herausfinden könnt, was ein Brief kostet, könntet ihr mir einen Brief im Paket zuschicken. Schreibt so schnell wie möglich, dann kann ich mehr schreiben. Johann Abraham”

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Postkarte von Jan Abraham an seine Familie aus dem Internierungslager Nürnberg-Gaismannshof, 19. September 1939.
© Władysław Abraham

Die Deutschen gehen auch nach dem Ende der Kampfhandlungen im Herbst 1939 weiter brutal gegen die Bevölkerung Polens vor. Nahe dem Wohnort von Jan Abraham findet eine der größten Mordaktionen in den ersten Monaten der deutschen Besatzungsherrschaft statt: Innerhalb weniger Monate werden in den Wäldern von Piaśnica mehr als 10.000 Menschen getötet. Auch Johann Abraham wird zwischen dem 10. und 17. November 1939 in den Wäldern von Piaśnica erschossen.

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Innerhalb weniger Monate werden in den Wäldern von Piaśnica zwischen Oktober 1939 und März 1940 mehr als 10.000 Menschen ermordet – ­darunter die regionale Elite und Intellektuelle aus der Region Kaschubien.
© Archiwum Państwowe w Gdańsku
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Auch aus dem Deutschen Reich werden mehrere tausend Menschen nach Piaśnica transportiert und erschossen, darunter psychisch Kranke und Polen, die in Deutschland lebten und arbeiteten. Bei vielen ist bis heute unklar, aus welchem Grund sie nach Piaśnica gebracht und dort ermordet wurden.
© Archiwum Państwowe w Gdańsku
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Waldemar Engler lebt 1939 als Volksdeutscher in Wejherowo bei Piaśnica und betreibt dort ein Fotogeschäft. Er beteiligt sich an den Massenerschießungen und fertigt mehrere Aufnahmen an. Auch wenn die Deutschen bei Herannahen der Roten Armee 1944 versuchen, die Spuren des Massakers von 1939/40 zu verwischen, bleiben Englers Fotos erhalten und zeugen bis heute von den Morden.
© Archiwum Państwowe w Gdańsku
 

„Im November 1939 fuhr ich eines Tages mit dem Fahrrad von Wejherowo nach Hause, die Chaussee nach Krokowa entlang. Ich sah an der Straße zwei Lkws voller Menschen, darunter Frauen und Kinder, die von Gestapoleuten bewacht wurden. Die Chaussee führt mitten durch den Wald von Piaśnica. Nach einiger Zeit hörte ich Schüsse. Ich dachte, dass die Menschen in den Lkws, die ich gesehen hatte, im Wald erschossen würden. Nach einiger Zeit fuhren zwei weitere dieser Lkws voller Leute an mir vorbei – Zivilisten, die von Gestapoleuten bewacht wurden.
Von meinem Haus aus hörte man bis zum 8. Dezember 1939 jeden Tag Schüsse aus den Piaśnicer Wäldern. Die Deutschen bestimmten aus jedem Dorf in der Nähe der Wälder von Piaśnica zwei Polen, die die Aufgabe hatten, die Wälder vor Feuer zu schützen. Eines Tages im November 1939 (Ende des Monats) wurde ich bestimmt, den Wald zu bewachen. Ich ging damals aus Neugier zu der Exekutionsstätte und sah den Platz, wo die ermordeten Polen begraben worden waren. Ich sah etliche frisch zugeschüttete Gräber.“
Zeugenbericht von Robert Heland über die Erschießungen in Piaśnica, 1961

PAULINA FOTO
Dieses Foto zum 55. Geburtstag von Paulina Abraham, Jan Abrahams Mutter, vom Sommer 1940 zeigt seine Angehörigen – und welche Spuren der Zweite Weltkrieg bereits in der Familie hinterlassen hat. In der hinteren Reihe stehen fünf seiner Geschwister (die ersten fünf von rechts) und eine Schwägerin (Erste von links), vorne vier Neffen neben seiner sitzenden Mutter. Auf dem Bild fehlen Jan Abraham (in Piaśnica ermordet), sein Vater (im Konzentrationslager Sachsenhausen) und einer seiner Brüder (in deutscher Kriegsgefangenschaft).
© Władysław Abraham
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Foto der Gedenktafel für die in Piaśnica ermordeten Einwohner von Sławoszyno, dem Geburtsort von Jan Abraham, 2019
© Krystyna Abraham-Walasiak
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Władysław Abraham vor der Gedenktafel in Sławoszyno, auf der auch der Name seines ermordeten Onkels Jan Abraham steht, 2019
© Krystyna Abraham-Walasiak

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