Nikolaj Parfenenko

1917–2015

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Nikolaj Parfenenko nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion, 1946
© Anatolij Parfenenko

Nikolaj Parfenenko wird 1917 in dem Dorf Kujbyschewo in der russischen Region Rostow-am-Don geboren. Seine Eltern sind Bauern und seit der Oktoberrevolution 1917 in der örtlichen Kolchose tätig. Sie haben fünf Kinder. Nikolaj Parfenenko besucht nach der Dorfschule eine pädagogische Fachschule und studiert anschließend an der staatlichen Universität in Rostow-am-Don Chemie. 1941 erhält er sein Diplom.

Durch den Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion wird Nikolaj Parfenenko im Sommer 1941 mobi­lisiert. Nach einigen Kursen an der Akademie für chemischen Schutz der Roten Armee ist er seit Dezember 1941 als Feldchemiker an der Südfront eingesetzt. Im Herbst 1942 gerät er in Gefangenschaft und kommt nach einigen Durchgangslagern ins Kriegsgefangenenlager nach Nürnberg-Langwasser. Er wird dem Arbeitskommando 10083 bei den Siemens-Schuckert-Werken zugeteilt, wo er bis Kriegs­ende Zwangsarbeit leisten muss.

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Sowjetische Kriegsgefangene, die in Nürnberg bei der Enttrümmerung eingesetzt wurden, warten auf den Rücktransport ins Lager, September 1942
© Stadtarchiv Nürnberg, A 58 Nr. 1051
 

„Durchgangslager in Nürnberg, Stalag XIII D: Das war anscheinend das Hauptlager für Kriegsgefangene. Am Tor – eine faschistische Symbolik. Jeder bekam eine Nummer um den Hals, es wurden Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht. Ein Bad (kaltes und heißes Wasser). Es war bereits Dezember, es war ein sehr kalter Wind. Nach dem Bad wurden wir in die Kälte rausgejagt, die Soldaten dagegen beobachteten uns durch die Fenster. Nach dem heißen Bad wurde uns sehr kalt und wir stellten uns Rücken an Rücken (so ist es wärmer). Die deutschen Soldaten kamen raus, trieben uns auseinander und wir mussten uns wieder in Reihe aufstellen. Sie – ­zurück ins Bad und wir wieder Rücken an Rücken. Das wiederholte sich mehrfach, dann wurden sie müde und haben uns weggeführt. Viele wurden krank. …“
Brief an den Verein KONTAKTE-KOHTAKTbI e. V., 2008

„ … Eine Zeit lang mussten wir Trümmer von bei Fliegerangriffen zerstörten Häusern, Betrieben und Bahnhöfen räumen. Deutsche Soldaten schlugen auf uns ein mit Gewehrkolben, brüllten uns an – wir konnten sie nicht verstehen, sie aber schlugen.“
Brief an den Verein KONTAKTE-KOHTAKTbI e. V., 2008

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Deutsche Frauen und Kriegsgefangene (vermutlich Italiener) bei der Kleintrafofertigung im Siemens-Werk, Nürnberg 1944
© Siemens Historical Institute
 

„Nach dem Stalag wurden wir der Firma Siemens-Schuckert in Nürnberg übergeben. Wir arbeiteten bei der Herstellung von Gehäusen für elektrische Generatoren und Motoren. Anfangs waren wir im Kinotheater [Kolosseum] untergebracht, anschließend in Baracken ohne Decke nur mit einem Dach aus Dachpappe. In der Baracke war zwar ein Kanonenofen, es gab aber nichts zum Heizen. Wenn es der eine oder andere schaffte, irgendwo Holz oder Papier zu klauen, konnten wir damit heizen.“
Brief an den Verein KONTAKTE-KOHTAKTbI e. V., 2008

„Bei Stalingrad wurde [General] Paulus zerschlagen. Alle Nazis, die in der Halle arbeiteten, haben ihre braunen Festkleider mit verschiedenen Abzeichen angezogen. Die Nazis schauten finster und besorgt. Wie war es möglich: Immer wurde geschrieben, diese Schurken, die sowjetischen Banditen, werden bald erledigt sein. Und nun so ein Kummer für die Nazis. Wir holten immer weggeworfene Zeitungen aus den Müllkörben und lasen sie im Lager gemeinsam. Wir haben uns erfreut über die Gefangennahme der Paulusarmee unterhalten, aber nur in Baracken, wo keine Deutschen waren.“
Über die Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad Anfang 1943 und die Gefangennahme des deutschen Oberbefehlshabers Paulus. Aus einem Brief von Nikolaj Parfenenko an den Verein KONTAKTE-KOHTAKTbI e. V., 2008

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Der Prüfbericht der Wehrmacht vom 5. März 1943 benennt Ausschreitungen und Tätlichkeiten der Wachmannschaft gegenüber den sowjetischen Kriegsgefangenen bei den Siemens-Schuckert-Werken in Nürnberg. Grund hierfür sind die Verluste der deutschen Armee in Stalingrad. Die Misshandlungen finden im Arbeitskommando 10083 statt, zu dem auch Nikolaj Parfenenko gehört.
© Bundesarchiv, Freiburg

Nikolaj Parfenenko überlebt die Gefangenschaft und übersteht 1945 auch die staatliche Prüfung als Rückkehrer aus dem Deutschen Reich. Er wird Lehrer an der Volksschule in seinem Geburtsort und gründet dort eine Familie. Seine Ehefrau ist ebenfalls Lehrerin. 1949 und 1951 kommen ihre beiden Kinder Ekaterina und Anatolij zur Welt. Nikolaj Parfenenko stirbt 2015 im Alter von 97 Jahren.

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Nikolaj Parfenenko (stehend) gibt Chemieunterricht in seinem Heimatort, 1963.
© Anatolij Parfenenko
 

„Ich wurde nach der Überprüfung im KGB 1945 gefragt, als was und wo ich zu arbeiten gedenke. Ich sagte, ich möchte Lehrer sein, wenn man mir es anvertraut. Man hat es mir anvertraut. Ende 1945 bin ich in mein Heimatdorf Kujbyschewo gekommen, wo ich geboren worden war und viele Jahre als Lehrer gearbeitet habe. Das Dorf war völlig zerstört. Schulen, Krankenhäuser, Kolchos-Bauten und Wohnhäuser waren zerschlagen und ausgeraubt. Das Vieh von den Faschisten entführt. Das Dorf wurde neu aufgebaut. Es ist ein Kreiszentrum. Alle Mittelschulen haben Busse, um Kinder aus den Einzelhöfen zu holen, die Schulen sind in guten neuen Gebäuden, die meisten Lehrer sind junge Fachleute.“Brief an den Verein KONTAKTE-KOHTAKTbI e. V., 2008

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Nikolaj Parfenenko mit seiner Ehefrau Alexandra und ihren gemeinsamen Kindern Ekaterina und Anatolij, 1956
© Anatolij Parfenenko
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Die Familie Parfenenko im Jahr 1968
© Anatolij Parfenenko
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Nikolaj Parfenenko mit seiner Ehefrau und seinem Sohn am 9. Mai 1999, dem „Tag des Sieges“. Mit diesem Feiertag gedenken die Bürger der Sowjetunion und der postsowjetischen Staaten jährlich der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschen Reiches.
© Anatolij Parfenenko
Parfenenko 7 2008
Nikolaj Parfenenko (Erster von rechts) mit anderen Teilnehmern des Zweiten Weltkrieges an einem Kriegerdenkmal, 9. Mai 2008. In einem Brief aus dem gleichen Jahr nennt er diesen Tag den „freudigsten Feiertag“, den er jährlich mit anderen Veteranen begeht.
© Anatolij Parfenenko

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